Annika Blanke
Wenn die Dichtkunst auf einen Absacker vorbeischaut
Sie stehen oft im Schatten des Kulturbetriebs und werden nicht wirklich mit der Aufmerksamkeit versehen, die Ihnen zusteht: Annika Blanke ist eine sehr erfolgreiche Poetry Slammerin, die sich hinter keinem lyrischen Nachwuchstalent verstecken muss. Im Gegenteil, wo sie ist, ist der Zuhörer, die Zuhörerin, sie steht im direkten Austausch und weiß, wie das Publikum empfindet. Was dabei entsteht, ist kein Eskapismus, sondern ein lyrischer stiller Dialog.
Es klingt wie eine Plattitüde und es ist auch eine: Poetry Slamming ist aus dem literarisch-lyrischen Baukasten der Kultur nicht mehr wegzudenken. Sie hat sich ganz selbstverständlich ihren Platz in der Literatur erobert und behauptet ihn dort auch seit Jahren. Ganz ähnlich, und das ist keine Plattitüde, Annika Blanke aus Oldenburg. Seit zehn Jahren tritt sie als Slammerin landauf-landab auf, lässt sich feiern und preiskrönen und ist heute eine feste Größe der Literaturlandschaft. Diese Landschaft ist bundesweit zu verstehen, auch wenn sie bekennende Ostfriesin aus Leer ist, plattdeutsch als Muttersprache angibt und über einen Wortwitz, Assoziationsschwung und die Fähigkeit von Thema zu Thema in Kommalänge - oder wie sie es sagen würde „in der Länge eines Ladebalkens“ - zu surfen, die ihresgleichen sucht. Wer sich noch nie mit dem Poetry Slam auseinandergesetzt hat und dabei gleich an den aggressiven Gangster-Rap aus den Vorstädten der Metropolen denkt, liegt im Ergebnis falsch.
Poetry Slammer und in vielen ihrer Texte und Programme auch Annika Blanke sind sensible Wortakrobaten und Satzkonstrukteure, die viel über die Wirkung von Sprachbildern wissen und ihr Ohr immer nah am Puls der Zeit haben. Dass dies meist der Puls der jüngeren Generation ist, tut dem und seiner Ausdruckskraft und Wirkungsmacht keinen Abbruch. Im Gegenteil, Annika Blanke gelingen bei aller ironischen Sicht auf die großen und kleinen Ereignisse des allzu-menschlichen Alltags immer wieder bewegende, anrührende Ansprachen, wunderbar einfühlsame Schlüsse ihrer Texte. So etwa in ihrem Slam zur Ethikstunde in einer zehnten Klasse, deren Lehrerin sie ist. Paul, der Schweiger, wendet sich am Ende zu seiner Lehrerin und sagt, er wolle einmal glücklich sein, vernünftig sein. Und seine Lehrerin denkt bei sich „ich hoffe, dass er ahnt, dass das Glück in glücklich nicht immer auf ich endet.“
Es sind solche schnell gesetzten Haken, die sich festsetzen, gesammelte Beobachtungen und Urteile, die von einer tiefen Sympathie für die Menschen, ihren Unsinn und ihre Verwirrtheiten zeugen. Davon gibt es eine beinah verschwenderische Menge in ihren Texten, beneidenswert leicht hingesprochen, beneidenswert schnell miteinander verbunden. Dabei gelingt es ihr mit leichtem Strich das Bild einer Generation zu zeichnen, die selbstironisch und selbstbewußt, zielorientiert und empfindsam ist. Und dies schafft Annika Blanke nur dadurch, dass sie es schildert und beschreibt, statt es zu behaupten und beweisen zu wollen. Der Applaus ihrer jugendlichen Zuhörer bestätigt dies zur Genüge.
Auf der Bühne verfügt sie über eine beeindruckende Präsenz, es braucht nicht viel für sie, um ihr Publikum zu erreichen. Annika Blanke gehört trotz ihrer langen Erfolgsgeschichte zu einer der Entdeckungen des LiteraturFestes, keine Frage.
Walter Ruß
www.annika-blanke.de