HERTA BLEEKER

Frauenschicksale bewegen die Welt 

Raues Wetter und raue See. Raue Zeiten. Der Mann verdient das Geld auf den Meeren der Welt, die Frau kämpft ihre Kampf zu Hause, in Ostfriesland. Sie erzieht die Kinder, führt den Haushalt, bewältigt das allgemeine Leben. Kleine und große Nöte schultert sie allein, der Gatte weiß nichts davon, er braucht auch Ruhe, wenn er heimkommt. Wenn er heimkommt. Wenn er draußen bleibt, muss die Witwe auch für den Unterhalt ihrer Schar sorgen, für das tägliche Brot. Dies ist das Thema der Autorin Herta Bleeker; das Thema der stillen Heldinnen.  

Große Männer schreiben Geschichte, so scheint es vielfach, aber starke Frauen bewegen die Welt. Sie schenken Leben, stiften Ordnung im Lauf der Dinge, geben Halt und Geborgenheit. So sind es die Frauen, die Gemeinschaften in ihrem Inneren zusammenhalten, die kleinen und die großen, die wichtigen und die auf den ersten Blick nachrangigen. Dies ist das Thema der Autorin Herta Bleeker, sie widmet sich ihm mit einer tiefgründigen Warmherzigkeit, die wohl nur eine Frau aufbringen kann.       

 

Es ist das Leben der sprichwörtlichen kleinen Leute. Der Mann fährt zur See, die Frau führt das Haus, erzieht die Kinder. Sie bewältigt den Alltag der Familie, sie löst die Probleme, die leichten und die gewichtigen, während er seinem Beruf nachgeht.  Wenn er heimkehrt verlangt er sein recht auf Ruhe, er hat kaum ein Ohr für ihre Sorgen. Wenn er heimkehrt. Oft genug bleibt er auch draußen, auf See, und sie muss fortan allein für den Unterhalt der Kinder sorgen. Wir gehen in eine Zeit, in der das weibliche Rollenbild noch stark paternalistisch geprägt ist. Die Frau hat vor allem eine dienende Rolle, eine der Unterordnung und der Fügung.  Herta Bleeker greift diesen Sachverhalt auf und schildert ihn in einer Abfolge von Werken eindringlich an Einzelschicksalen. In ihrer „Daje“-Reihe schlägt sie dabei einen großen Bogen, der in der Kaiserzeit seinen Anfang nimmt und bis in die Gegenwart fortgesetzt werden wird. In einer klaren, beinahe nüchternen Sprache und frei von romantischen Verklärungen spürt sie den Höhen und Tiefen ihrer Heldinnen und Helden nach und lässt ihre Leserschaft intensiv und hautnah daran teilhaben. Wir stehen am Wochenbett, wenn das zehnte Kind geboren wird und hören den Tadel des Dienstherrn, der seine Magd rügt und ihr die Arbeit schwermacht. Das kleine Glück, wenn die Sau sechs gesunde Ferkel gebärt erleben wir ebenso wie das Drama des Verlustes lieber Menschen. Die Hinnahme des eigenen, bescheidenen Loses lässt nicht nur für sich selbst Träume zu, es verbindet sich auch mit den schönsten Hoffnungen über eine bessere Zukunft der Kinder. Eine tief empfundene Religiosität bietet Halt und Trost, aber ist zugleich der Kraftquell, aus dem sich die Bereitschaft zur Unterwerfung nährt. 

 Das ist das Spannungsfeld in dem Herta Bleeker ihre Geschichten erzählt. Darin wird gelacht und geweint, geliebt und gehasst, gelebt und gestorben. Der Lauf der Dinge wird nicht ohne Gefühl, aber doch mit einer gerade für das Landvolk so bezeichnenden Gelassenheit ihrem Wesen nach genommen und angenommen. „Lass mich eine Nacht darüber schlafen“ und, „Trinken wir erst einmal eine Tasse Tee“ sind Sätze, die das unaufgeregte Denken dieser Menschen zum Ausdruck bringen. Die Botschaft ist klar: was ich kann will ich tun, aber meiner Grenzen bin ich mir bewusst.

Herta Bleeker sieht diesen Leuten ins Herz und auf die Lippen. Sie lässt uns an ihrem Leben teilhaben, sie öffnet Türen und zieht Schleier beiseite und ermöglicht uns einen langen Blick auf eine Zeit, die wir auch gern „die gute alte“ nennen. Dass sie in vielen Hinsichten eher hart und fordernd gewesen ist vermittelt die Autorin durch den sachlichen Duktus ihrer Werke.
Lothar Englert

www.herta-bleeker.de