Ines Wertenbroch

Die Frau ohne Angst

Die Lyrik des Persönlichen. Der Blick in die eigene Seele, abgeleitete Erkenntnis und ihre Folgerung für die Fragen des Alltags. Dann die Reflexion mit ihrer Konsequenz, der Übertrag in das Verhältnis zum Mitmenschen, die soziale Folge. Die Dichtung von Ines Wertenbroch ist waffenlos und trotzdem wehrhaft, gibt nach und widersteht, sie schöpft Kraft aus ihrer friedfertigen Wortkunst. Ihre Verse führen die Dichterin zu sich selbst, und sind zugleich ein Angebot an die Leserschaft. 

Erstlingswerken sagt man gern einen starken Bezug auf die biografische Befindlichkeit des Autoren nach. Inwieweit dies jedoch ein Qualitätsurteil ist, zumal ein minimierendes, ist eine offene Frage, die von Fall zu Fall beantwortet werden muss. Ines Wertenbroch macht aus diesem Bezug überhaupt kein Hehl, sondern betont dies gewissermaßen noch, indem sie qua Untertitel den Leser/die Leserin einlädt sich eben dieses Bezuges bewusst zu sein und die Gedichte als das zu lesen und zu verstehen, was sie sind: Aus dem Leben. Dies sind Verse, die aus dem Leben unmittelbar entstanden sind, aus den alltäglichen Erfahrungen, den täglichen Pflichten, Irrungen und Wirrungen, die dies nun bilanzieren und kommentieren wollen: „Ich rede nicht/Meine Waffe ist der Spiegel/In meinen Augen/Mein Auftrag ist/Das Einschmelzen der alten Rüstungen.“ heißt es im Titelgedicht des Bandes, „Ich bin der Sturm“. Hier wird kein Programm für die Bewältigung des alltäglichen Lebens entworfen, keine Gebrauchsanweisung für die Tücken des Lebens geschrieben, sondern hier wird festgestellt und beobachtet, nach Wegen gesucht und Perspektiven erörtert. 

 Diese Haltung ergibt eine wohltuend ruhige und zurückhaltende Haltung inmitten des Sturms, der das Leben sein kann. Die Sprache, mit der die heftigen, wilden, aufregenden Windungen und Wendungen des Lebens beschrieben oder angedeutet werden, bleibt immer von einem sanften Ton des Verstehenwollens, des Selbsterklärens geprägt: „Kein Kampf mehr./Es fügt sich nach vielen Jahren/mit den gleichen Menschen/eine neue Familie zusammen./Ohne Bitterkeit und Erwartungen./Mit Raum für mehr Liebe.“

Auf den Seiten dieses Gedichtbandes, in den Zeilen der Gedichte ist der Leser/die Leserin behütet vor dem, was das Dichterinnen-Ich als Sturm bezeichnet, dieser Sturm hat keine zerstörerische, bedrohliche Kraft sondern dient allein der Beseitigung allen Gefühls- und Gedankenlaubes der Vorjahre, in denen das sprechende Ich sich in Situationen und Lagen wiederfand, die sie verunsicherten und den klaren Blick auf das eigene Leben trübten. 

 Es ist der frische Wind der Erkenntnis, vor allem der Selbsterkenntnis, der sich zu einem wahren Sturm des Neubeginns wandelt. In vielen Versen findet sich der ausdrückliche Hinweis auf das weibliche Selbstverständnis der Dichterin, dies ist gewissermaßen der erklärte Verzicht auf Allgemeingültigkeit. Die Perspektive der Gedichte ist die der sich im stürmischen Voranschreiten sich selbst bewusst und dabei immer selbstbewusster werdenden Frau. Der sanfte Ton der Einfühlung in die eigene Situation im Spannungsfeld so vieler anderer Menschen aus der eigenen Familie, den Freunden und der Gesellschaft macht die Verse zugänglich und verständlich, an keiner Stelle versperren sie sich dem neugierigen Leser/der Leserin, wenn er/sie sich auf die Spur der Empfindung oder des Gedankens macht: „Vielleicht war ich die Lüge,/war immer der Sturm/mit unbändiger Kraft./Ich hab mich selbst/vor mir gefürchtet.“  heißt es selbstreflexiv im zweiten Teil des Titelgedichtes. Hier kommt das lyrische Ich zur Quintessenz seines Denkens und Schreibens: „Ich wünsche mir,/dass wir uns am Ende wiedersehen./Als die, die hinter/den Kulissen hervortreten.“ geht das Gedicht seinem versöhnlichen Ende entgegen, das schließlich auch als Aufforderung an die hoffentlich vielen Leser*Innen gemeint ist: „Werdet auch zum Sturm,/der ihr seid.“
Walter Ruß